Die Burschenschaft Hannovera in der NS-Zeit

(Leicht überarbeitete Fassung des Artikels aus der Bundes-Zeitung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen, Jahrgang 93 (Neue Folge), November 2003, Nr. 2, S. 25-32)

1983 erhielt die Aktivitas aus dem Nachlass von AH Dr. Gerhard Weise (Braunschweig) u. a. eine Sammlung von Rundschreiben aus der Zeit nach 1933, die unser damaliger Altherrenvorsitzender Rechtsanwalt und Notar Dr. Rudolf Hoffmann (Hannover) an Alte Herren und Bundesbrüder versandt hatte. Bundesbruder Kai Schröder hat darüber in der Grünenzeitung vom Herbst 1983, S. 24 f. berichtet. Von besonderem Interesse war das Rundschreiben von AH Hoffmann vom 2. Juni 1939, durch das er über das Verbot der Burschenschaft Hannovera und des Hausbauvereins informierte.

Der Wortlaut der Auflösungsverfügung wird hier nochmals kursiv abgedruckt.


Geheime Staatspolizei Hildesheim, den 28. April 1939
Staatspolizeileitstelle Gartenstraße 20
Hildesheim Fernsprecher Nr. 5051
Br.-Nr. II C — 1462/39

Auflösungsverfügung

Auf Grund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. 2. 1939 (RGBl. S. 83) wird hiermit die Burschenschaft „Hannover“ in Göttingen und deren Hausverein aufgelöst, das Vermögen beschlagnahmt und jede weitere Betätigung sowie die Neugründung bezw. Bildung einer getarnten Nachfolgeorganisation verboten. Zuwiderhandlungen werden nach § 4 der genannten Verordnung bestraft.

Gründe

Die Burschenschaft „Hannover“ sowie deren Hausverein haben bisher trotz wiederholter Bemühungen jede tätige Mitarbeit am studentischen Neuaufbau abgelehnt. Insbesondere hat nur ein geringer Prozentsatz der Angehörigen dieser Vereinigungen seinen Beitritt zum NS-Altherrenbund erklärt und somit bewusst die Bestrebungen des Stellvertreters des Führers und des Reichsführers SS sabotiert.

In Vertretung:
gez. Söchting
Beglaubigt:

L.S. gez. Wedige
Polizei-Oberinspektor

Hierzu ist Folgendes festzustellen:

In der Auflösungsverfügung wird an beiden Stellen von der Burschenschaft „Hannover“ gesprochen. 1939 bestanden weder eine Aktivitas noch eine Kameradschaft (vgl. dazu unten), sondern nur noch der Altherrenverband und der Hausbauverein.

Ob die Auflösungsverfügung lediglich AH Hoffmann oder ob eine Zweitschrift auch dem damaligen Vorsitzenden des Hausbau-Vereins der Grünen Hannoveraner eingetr. Verein zu Göttingen zugestellt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Von Rechts wegen hätte beiden Vereinsvorsitzenden die Auflösungsverfügung übersandt werden müssen, weil zwei unabhängig voneinander bestehende Vereine aufgelöst werden sollten. Aber vielleicht nahm das die Gestapo in Hildesheim nicht so genau, zumal mit Rechtsmitteln, Gegenvorstellungen usw. nicht zu rechnen war.

Aus Satz 1 der Begründung wird nicht ersichtlich, wer die wiederholten Bemühungen unternommen hat, eine tätige Mitarbeit am studentischen Neuaufbau zu erreichen. Es könnten Vereinsmitglieder gewesen sein, aber wahrscheinlich waren es die neuen Machthaber, deren Appelle auf taube Ohren gestoßen waren.

Satz 2 der Begründung verdeutlicht, dass die Gestapo in Hildesheim der deutschen Sprache nicht mächtig war. Offensichtlich waren nur einige Alte Herren der Burschenschaft Hannovera dem NS-Altherrenbund beigetreten, aber ausgerechnet dieser geringe Prozentsatz soll nun die Bestrebungen des Stellvertreters des Führers und des Reichsführers SS bewusst sabotiert haben!

Meine Vermutung ging zunächst dahin, dass die Auflösungsverfügung eine staatliche Maßregelung war, die — wenngleich sie auch relativ spät kam — ihre Begründung im Verhalten unserer Aktivitas zu Beginn der Nazizeit hatte.


Der Fall Mitscherlich

Ende 20er/Anfang der 30er Jahre lehrte an der Universität Göttingen AH Prof. Dr. jur. Waldemar Mitscherlich (geb. 22.03.1877 in Hann Münden, aktiv SS 1898, gest. 31.07.1961 in Bad Godesberg). Als Mitglied der damaligen Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vertrat er die Fächer Nationalökonomie und Soziologie. Im SS 1933 rief der Göttinger Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) zu einem Boykott der Vorlesungen von AH Mitscherlich auf. Der Grund für den Boykottaufruf ist nicht mehr klar zu verifizieren. Das Universitätsarchiv Göttingen konnte mir nicht helfen. Verschiedene Hinweise in dem Buch von Helmut Heiber „Universität unterm Hakenkreuz“ deuten darauf hin, dass AH Mitscherlich einige Wirtschaftsreformen, die unter Reichskanzler v. Schleicher eingeleitet worden waren, gelobt und sich deshalb den Zorn der Nationalsozialisten zugezogen hat. AH Fritz Bertram, der im SS 1933 Sprecher war, hat mir vor Jahren von den Ereignissen erzählt. Er meinte allerdings, AH Mitscherlich habe einen Privatdienstvertrag mit einem jüdischen Assistenten gehabt und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. AH Mitscherlich, der im Friedländer Weg 11, also nahe unserem Haus wohnte, habe keine engen Beziehungen zum aktiven Bund unterhalten. Dennoch habe die Aktivitas beschlossen, AH Mitscherlich zu unterstützen. Damit seine Vorlesungen stattfinden konnten, wurden jeweils drei Aktive — was immer sie auch studierten — in die Vorlesungen beordert, obwohl sie sich von Studenten in SA-Uniform, die vor dem Eingang standen, beschimpfen lassen mussten. Lange hat das nicht gedauert, denn AH Mitscherlich stellte alsbald entnervt seine Lehrtätigkeit ein. Auch im WS 1933/34 hielt er keine Vorlesung. Das preußische Kultusministerium löste die Angelegenheit auf seine Weise: Zum SS 1934 wurde AH Mitscherlich an die Universität Halle versetzt. Die Aktivitas hatte sich bundesbrüderlich verhalten und sich dadurch sicher bei den Nationalsozialisten unbeliebt gemacht. Gedankt hat es ihr AH Mitscherlich letztlich nicht, denn am 04.03.1935 erklärte er seinen Austritt aus der Burschenschaft Hannovera.


Die Wiedereröffnung der Aktivitas

Als ab 1934 die Aktivitates der Burschenschaften sich selbst auflösten und Kameradschaften bildeten, war auch die Hannovera davon betroffen. Man nannte sich Kameradschaft „Hardenberg“. Das Leben in der Kameradschaft behagte den jungen Bundesbrüdern offensichtlich nicht, und so kam man auch auf eine Idee, die letztlich zum Scheitern verurteilt war, zumal eine andere Burschenschaft aus Göttingen, die zunächst mitmachen wollte, im letzten Augenblick zurückschreckte: Man löste die Kameradschaft auf und ließ die Aktivitas der Burschenschaft Hannovera erneut entstehen. Ab dem WS 1935/36 war es auch damit vorbei, jedenfalls bestand von da ab weder eine Aktivitas noch eine Kameradschaft. Unzweifelhaft dürfte die Wiedereröffnung der Hannovera nicht das Wohlwollen der neuen Machthaber gefunden haben.

AH Hoffmann hatte es nicht leicht, den Altherrenverband zusammenzuhalten. Da es mangels einer Aktivitas bzw. einer Kameradschaft keine zentralen Veranstaltungen in Göttingen mehr gab, versuchte er durch mehrere Rundschreiben ein Meinungsbild zu erreichen. Er stellte u. a. folgende Möglichkeiten zur Abstimmung: Auflösung des Altherrenverbandes, geschlossener Eintritt der Altherrenschaft in den NS-Altherrenbund, Weiterbestand des Altherrenverbandes als lose Traditionsvereinigung, Auflösung des Hausbauvereins und Verteilung des Erlöses an die Mitglieder bzw. Übergabe des Erlöses an den NSDStB, Vermietung des Hauses. In jedem neuen Rundschreiben wurde die Liste der Alten Herren länger, die umgezogen waren und ihre neue Anschrift AH Hoffmann nicht mitgeteilt hatten. Darüber hinaus schrieb er die Inaktiven an, die ihr Studium in Göttingen oder an anderen Hochschulorten längst abgeschlossen hatten, allerdings nicht förmlich philistriert waren. Auch deren Anschrift war für AH Hoffmann oft nicht feststellbar. Der Rücklauf auf seine Rundschreiben war äußerst mäßig; für keinen der Vorschläge gab es jemals eine Mehrheit — und damit gab es bis 1939 keine Entscheidung.

Hierin — und nicht etwa in dem oben beschriebenen Verhalten der Aktivitas — liegt aller Wahrscheinlichkeit nach der Grund für das Verbot der Hannovera. Darauf gebracht hat mich Herr Rechtsanwalt Dr. Paulgerhard Gladen aus Kirchberg (Alter Herr eines Marburger Corps), der über Verbote studentischer Verbindungen in der NS-Zeit forscht. 1935 und verstärkt ab 1939 hat der NSDStB versucht, die Altherrenvereine zu veranlassen, ihre Korporationshäuser kostenlos Kameradschaften zur Verfügung zu stellen. Das wurde wie folgt inszeniert: SS-Sturmbannführer Dr. Sandberger, ein enger Vertrauter des Reichsstudentenführers und Bereichsführer Südwest in Stuttgart, war zugleich auch Beauftragter für Verfassungsfragen beim Amt des Reichstudentenführers. Zunächst erschien von ihm ein Artikel in der Zeitschrift „Der Altherrenbund“ vom März 1939 auf Seite 251/52. Damit stellte er — wie Juristen sagen würden — die herrschende Meinung her. Dieser Artikel wird nachfolgend kursiv abgedruckt.

Die Liquidation von Altherrenvereinen
Von SS-Sturmbannführer Dr. Sandberger, Bereichsführer Südwest, Stuttgart

Bei der Selbstauflösung und Liquidation von Altherrenvereinen (AHV) und Hausvereinen (HV) ist schon wiederholt die Frage erhoben worden, was mit den nach Abdeckung der Schulden verbleibenden Vermögenswerte der Altherrenvereine und Hausvereine geschehen soll. Diese Frage tritt dort auf, wo zwar die Auflösung und Liquidation seitens des Altherrenvereins oder Hausvereins noch nicht beabsichtigt ist, das alte Korporationshaus jedoch verkauft wurde und mit der Verwendung des Erlöses nicht länger zugewartet werden soll. Auch hier beschäftigen sich die Ausschüsse und Mitgliederversammlungen eingehend mit der Frage der Verwendung der noch vorhandenen Geldbeträge. Unabhängig von der Frage, welcher Richtung und welchem Verband der HV oder AHV früher angehört hat, muss der Reichsstudentenführer grundsätzlich auf dem Standpunkt stehen, dass die Gelder dieser Vereinigungen für ideelle Zwecke der Erziehung deutscher Studenten gesammelt wurden und dass es angesichts der Tatsache, dass die gesamte studentische Erziehung heute im nationalsozialistischen Staat von der NSDAP übernommen und innerhalb der Bewegung dem NSD-Studentenbund übertragen wurde, eine Selbstverständlichkeit bedeutet, dass alle diese Vermögenswerte den großen und wichtigen Aufgaben der Erziehung des deutschen Studententums und damit eines wichtigen Teiles des gesamten Führernachwuchses überhaupt erhalten bleiben. Keiner dieser Vereine hat das Vermögen gebildet in der Absicht, es zu irgendeinem Zeitpunkt zu verschleudern, unter seine Mitglieder zu verteilen — nach der Art einer wirtschaftlichen Erwerbsgenossenschaft -, es irgendwelchen nichtstudentischen Zwecken zur Verfügung zu stellen oder gar für Aufgaben zu verwenden, die mit dem ursprünglichen Vereinszweck, nämlich der Förderung einer studentischen Lebensgemeinschaft, in keiner Weise im Zusammenhang stehen. Angesichts der überaus geringen Mittel, die dem NSD-Studentenbund von der Gesamtpartei zur Verfügung gestellt werden können, ist es eine selbstverständliche Pflicht aller AHV und HV, im Sinne ihres alten Gemeinschaftsgeistes und ihrer alten Solidarität ihre Vermögenswerte heute im Rahmen der Kameradschaftserziehung, im Rahmen des neuen Aufbaus der Altherrenschaften oder gegebenenfalls für besondere Zwecke des Reichsstudentenführers im Rahmen des Reichsstudentenwerkes zu erhalten. Nach den Grundsätzen des Aufbaus des NSD-Studentenbundes und des NS-Altherrenbundes ist die alte Lebensgemeinschaft nicht untergegangen, sondern sie lebt fort in den neuen Kameradschaften und den Altherrenschaften. Diejenigen AHV, die zwar organisatorisch eine zustimmende Erklärung zum NS-Altherrenbund abgegeben haben, zugleich aber ihre Vermögenswerte völlig andersartigen Zwecken zuführen oder gar unter sich verteilen, treiben kein ehrliches Spiel. Sie sagen mit der einen Hand „ja“, mit der anderen „nein“. Sie treiben Missbrauch mit der Großzügigkeit des Reichsstudentenführers, der bekanntlich jede zwangsmäßige Lösung bei der Neugestaltung des Studenten- bzw. Altherrentums ablehnt. Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu: Der Reichsstudentenführer hat beim Neuaufbau des Altherrentums verkündet, dass grundsätzlich jeder gutwillige Altherrenverband gleichberechtigt sei. Bei der Neubildung der Altherrenschaften wird der Standpunkt vertreten, dass alle „Teilhaber“ der neuen Altherrenschaften unter sich gleichberechtigt sein müssen. Es geht aber auf der anderen Seite nicht an, dass die einen AHV und HV ihr Haus und ihr Vermögen der Kameradschaftserziehung zur Verfügung stellen und darüber hinaus noch durch Übernahme der laufenden Hausunterhaltungskosten ständig materielle Opfer neben den Beiträgen zum NS-Altherrenbund leisten, andere aber — unabhängig vom Umfang ihres prozentualen Eintrittes in den NS-Altherrenbund — nicht nur die laufenden Mehrkosten nicht zu tragen haben, sondern darüber hinaus auch noch ihr zuvor vorhandenes Vermögen verschleudern oder verteilen. Dies ist — nüchtern und klar gesprochen — im Rahmen einer großen neuen Gemeinschaft, wenn es wirklich eine echte Gemeinschaft sein soll, eine in jeder Hinsicht unanständige Handlungsweise, die in ihren Konsequenzen auf die Dauer gesehen der Keim zu größten Missstimmungen und Zerwürfnissen werden kann. Man kann eine neue Gemeinschaft nicht auf der Basis aufbauen, dass der eine Teil große Opfer bringt, der andere aber nicht nur diese Opfer nicht bringt, sondern darüber hinaus noch durch seine destruktive Handlungsweise zersetzend wirkt. Dieser Gedankengang ist so klar, eindeutig und selbstverständlich, dass ein besonderer Erlass des Reichsstudentenführers über seinen Standpunkt überhaupt nicht erforderlich ist, wenn sich nur der einzelne Alte Herr, der in irgendeinem HV oder AHV mitzusprechen hat, die Grundgedanken der neuen Gemeinschaftsbildung auch nur einigermaßen klar macht. Denkbar wäre nur, dass einzelne AHV sich auf den Standpunkt stellen, dass ihre frühere Erziehungsform nach irgendeiner Richtung so grundlegend von der heutigen nationalistischen Form der studentischen Erziehung abweicht, dass von irgendeiner Übernahme der Tradition oder von einer weiteren Pflege der Lebensgemeinschaft überhaupt nicht die Rede sein kann. Ein ähnliches Argument kann überaus zutreffend sein, es ist jedoch weniger interessant für die Reichsstudentenführung als für diejenigen Staatsbehörden, die sich mit der Bekämpfung getarnter Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung zu beschäftigen haben. Die Großzügigkeit und das Entgegenkommen des Reichsstudentenführers beim Neuaufbau des NS-Altherrenbundes war so überaus groß und sein Verständnis für besondere Wünsche und Notwendigkeiten zeigte sich so oft, dass es für das Akademikertum der Korporationen geradezu beschämend wäre, wenn diese Großzügigkeit von irgendeiner Seite damit beantwortet würde, dass Werte ideeller und vor allem materieller Art, die bisher den studentischen Erziehungszwecken zur Verfügung standen, nunmehr verschleudert, verteilt oder sonst der nationalsozialistischen Aufbauarbeit entzogen würden. Wer hier privatkapitalistische Interessen in den Vordergrund schiebt, treibt Verrat an seiner wahren Tradition oder beweist, dass er nie eine anständige besessen hat: Die Reichsstudentenführung ist aber der festen Überzeugung, dass die übergroße Mehrheit der Altherrenvereine und Hausvereine die Erwartungen, die der Reichsstudentenführer in sie setzt, nicht enttäuschen wird.

Damit war die Marschrichtung klar. Zwar wurde nochmals mit hehren Worten kräftig geworben, aber auch schon ein bisschen gedroht. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Herr Sandberger wurde nun als Beauftragter für Verfassungsfragen (BV) tätig. In dem Verordnungsblatt des RSF. (RSF = Reichsstudentenführer) 1939, Nr. 7, S. 9 vom 20.3.1939 erschien folgende Anordnung, deren Wortlaut kursiv abgedruckt ist.

Anordnung BV. 1/39:
Betr.: Liquidation von Altherrenvereinen.

Die Dienststellen des NS.-Altherrenbundes sowie alle Amtsträger des NS.- Altherrenbundes werden ersucht, Liquidationsfälle, die von der vom Reichsstudentenführer gewünschten Regelung (vgl. Artikel über „Die Liquidation von Altherrenvereinen“ in der Zeitschrift „Der Altherrenbund“, März 1939, Seite 251/52) abweichen, umgehend an den Beauftragten für Verfassungsfragen Stuttgart, Reinsburgstr. 32 zu berichten.
Dasselbe gilt für Vermögensverwertungen außerhalb des Liquidationsverfahrens, soweit diese Vermögensvenvertungen dem Standpunkt des Reichsstudentenführers widersprechen.
Ein Durchschlag des Berichts ist dem Amt NS.-Altherrenbund der Reichsstudentenführung zu übersenden. Es wird darauf hingewiesen, dass insbesondere die Altherrenschaftsführer des NS.-Altherrenbundes bezüglich der bei ihrer Altherrenschaft bewilligten Altherrenvereine und Hausvereine zur Beachtung dieser Grundsätze und zur eventuellen Berichterstattung verpflichtet sind.

Durch diese Anordnung machte Herr Sandberger seine in dem Artikel in der Zeitschrift „Der Altherrenbund“ geäußerten Gedanken gleichsam offiziell. Im übrigen enthält die Anordnung eine deutliche Aufforderung zur Denunziation. Nicht einmal ein Monat war seit der Veröffentlichung der Anordnung vergangen, da war bereits die Auflösungsverfügung der Gestapo Hildesheim gegen unseren Bund in der Welt. Ob jemand die Hannovera angezeigt hat oder ob sie schon vorher auf einer Liste des Herrn Sandberger mit zu liquidierenden Altherrenvereinen stand, ist mir nicht bekannt. Herr Dr. Gladen konnte mir nicht weiterhelfen, denn seine Nachforschungen im Bundesarchiv blieben insoweit ohne Ergebnis.

Die Zahl der ab April 1939 gleichgeschalteten bzw. aufgelösten Altherrenvereine erschien Herrn Sandberger offensichtlich zu gering. Jedenfalls sah er sich veranlasst, im Verordnungsblatt RSF. 1939, Nr. 15, S. 12 vom 10.7.1939 nochmals auf die Liquidation von Altherrenvereinen hinzuweisen und eine äußerst knappe Terminvorgaben zu machen (nachfolgend kursiv abgedruckt).

Bekanntgabe BV. 16/39:
Betr.: Liquidation von Altherrenvereinen.

Die Anordnung BV. 1/39 in Nr. 7 des Verordnungsblattes Seite 9 wird in Erinnerung gebracht. Danach sind die Dienststellen des NS-Altherrenbundes sowie alle Amtsträger des NS-Altherrenbundes aufgefordert, Liquidationsfälle, die von der durch die Reichsstudentenführung gewünschten Regelung abweichen, umgehend an den Beauftragten für Verfassungsfragen Stuttgart, Reinsburgstr. 32 zu berichten. Termin: 20.7.1939.


Darunter steht die Mitteilung über erfolgte Verbote (ebenfalls kursiv abgedruckt).

Bekanntgabe BV. 17/39:
Betr.: Auflösung waffenstudentischer Altherrenvereine.
Das Geheime Staatspolizeiamt hat die Altherrenvereine folgender weiterer ehem. Korporationen aufgelöst und verboten sowie ihr Vermögen sichergestellt:

  1. Corps Rheno Questphalia Berlin
  2. Corps Silvania Gießen
  3. Corps Teutonia Freiberg
  4. Corps Friso Lüneburgia Köln
  5. Burschenschaft Hannoveria Göttingen
  6. Burschenschaft Wasgau Köln
  7. Turnerschaft Merovingia Köln
  8. Sängerschaft Frankonia Brunonia Braunschweig
  9. ATV Rheinfranken Gießen

Nunmehr wurden wir als Burschenschaft „Hannoveria“ bezeichnet, aber auch der Name des Corps aus Berlin war falsch geschrieben.

Nach meinem Kenntnisstand war die Hannovera die einzige waffenstudentische Verbindung aus Göttingen, die durch die Gestapo verboten worden ist. Ich weiß nicht mehr, welche Alte Herr es war, aber einer hat vor Jahren darüber gesprochen, dass einige Alte Herren in einflussreicher Stellung in Berlin noch nach Beginn des Zweiten Weltkrieges sich dafür eingesetzt hätten, das Verbot der Hannovera aufzuheben, aber dazu ist es nicht gekommen.


Henning Tegtmeyer (WS 1961/62)


Addendum:
Bundesbruder Walther Rump, aktiv 1897, Dr. phil., Professor für Medizinische Physik an der Universität Erlangen, berichtet in der Bundeszeitung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen, Jahrgang 49 (Neue Folge), April 1959, Nr. 1, S. 13-18, unter Studentenleben 1897 als Teilnehmer vom 85. Stiftungsfest 1933 folgendes:

1933 war es schlimmer, das kommende vorläufige Ende war schon deutlich zu spüren. Äußerlich war dem Verlauf des Festes nicht viel anzumerken, aber im Innern trat eine Spaltung hervor, die zu unserem Wahlspruch, was die Einigkeit anbelangt, in bösem Gegensatz stand. Ein Teil der jüngeren Bundesbrüder hatte sich von dem neuen Rattenfänger von Hameln betören lassen, aber der Großteil war entschieden dagegen. Auf dem Kommers, bei dem man unbekannte Mützen von Korporationen sah, die plötzlich Burschenschaft geworden waren, wurden schöne Reden geredet, auch von einem Naziabgesandten, der die Burschenschaft pries, die ein Vorbild sein und alle Korporationen umfassen sollte. Was von solchen Sprüchen zu halten war, hat man dann ja bald genug erfahren. Die ablehnende Haltung der Hannovera wurde auf dem Kommers deutlich, als das „Horst-Wessel-Lied“ gesungen werden mußte: Marquardt (Otto, SS 1898) verließ unter Protest das Lokal, und der Gesang fiel aus Mangel an Beteiligung geradezu kläglich aus. Später hat dann, wie bekannt, die Altherrenschaft den Übertritt zum NS-Altherrenbund verweigert, die Folge war die Beschlagnahme unseres Hauses „wegen Sabotage am Werk des Stellvertre­ters des Führers“. …




(ks-07/2022)