Der Paukarzt berichtet

Was die Alten Herren berichten

(Artikel aus der Bundeszeitung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen,
Jahrgang 47 (Neue Folge), November 1957, Nr. 2, S. 11/12; mit Anmerkungen)

„ …. und der flickt ihr verfallnes Haus. 0 jerum, jerum, jerum ….“

Nach fast 25 Jahren betrat ich im Juli dieses Jahres erstmalig wieder unser altes Pauklokal. Hier ist wirklich die Zeit stehengeblieben! Der gleiche Raum, mit dem gleichen Geruch nach Leder und Schweiß! Eigenartig ist auch das Gefühl, daß ich diesmal keine Angst um den Schein fürs Chemische Praktikum haben muß. Ich finde mich überraschend schnell in die Atmosphäre hinein und rate allen älteren Bundesbrüdern, an Ort und Stelle zu erproben, ob es ihnen ähnlich ergeht.
Mit etwas überheblichem Gefühl erwartet man das Steigen der ersten Partie. Was kann bei hohen Hieben schon herauskommen? Beinahe hätte ich gelacht, daß man mich für so etwas als Paukarzt gebeten hatte. Erinnere ich mich doch noch zu gut unserer Fuxenpartien, bei denen ein eventueller Halbscharfer mit einem Hosenknopf gekrönt wurde.
Da wird schon um Silentium gebeten. Die Paukanten stehen sich bandagiert gegenüber; aber in einer anderen Stellung, als wir alten Grünen es gewohnt sind: breitbeinig, beinahe zu Ziehern und Tiefquarten herausfordernd. Und es geht los! Die Kommandos sind etwas anders, als wir sie kennen; auch gibt es nur eine bestimmte Auslage, so daß der Gegenpaukant immer langsam anziehen muß, damit ein gewisser Takt zustande kommt. Stüber hätte früher angefragt: „Herr Unparteiischer, wurde auf Gegenseite gelauert?“
Meine Überheblichkeit gegen die hohen Hiebe ist bald dahin. Schon heißt’s: „Paukarzt, bitte!“ – Eine Temporalisabfuhr. – „Herr Unparteiischer, wir führen ab!“ Und für mich beginnt ein schwerer Tageslauf. Noch bin ich nicht mit Flicken fertig, da sitzt schon ein Kartellbruder auf dem Stuhl und wird von einem seiner jüngeren Bundesbrüder versorgt, wobei ich noch helfen muß. Und so geht’s am laufenden Band. Eine Knochensplitterabfuhr, wieder eine Temporalis mit Unterbindung und Umstechung! Hannes Mühlenfeld fehlte mir sehr als erster Assistent.
Doch Spaß hat’s gemacht. Die Einstellung der Bundesbrüder zur Bestimmungsmensur ist genau so verschieden wie zu unserer Zeit. Einer sagte mir: „Ich bin froh, daß ich meine Partie hinter mir habe; mir macht das keinen sonderlichen Spaß.“ Ein anderer stand schon zum 4. Male auf Mensur und hoffte, daß er noch einmal herausgestellt werden könne. Einer bat, so genäht zu werden, daß es später möglichst wenig auffällt, während ein Saxone mit einer frischen Tiefquart meinte: „Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mit meiner Partie noch eine Woche gewartet; mein Schmiß ist viel zu dicht genäht, er bleibt nicht sichtbar.“
So hatte ich bis etwa 15 Uhr zu tun. Die größte Enttäuschung war für mich, daß es hinterher keine Krügersche Mensursuppe gab. Na, vielleicht kommt das auch noch einmal wieder! So manches ist wiedergekommen, da können wir darauf auch noch Hoffnung haben.

Brandt-Pollmann (SS 1930)



Werner Brandt-Pollmann
geb. 15. September 1911 in Kassel, Oberfeldarzt in Marburg, gest. 17. Dezember 1991.

Hans Mühlenfeld
geb. 11. September 1901 in Hannover, Dr. jur., Bundestagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender der Deutschen Partei, Botschafter, Kultusminister des Landes Niedersachsen, gest. 14. Oktober 1969 in Isernhagen (Kreis Hannover).

Walter Stüber
geb. 11. Juli 1907 in Kösseln (Kreis Bitterfeld), Zahnarzt in Köln, zunächst Zahnarzt in Altenburg, im Ruhestand wohnhaft in Schleiden (Kreis Euskirchen), gest. 27. März 2004, hat am 25. Januar 1931 in Grone die 3000. Partie der Hannovera gefochten.

Saxone = Mitglied der B! Saxonia Breslau, später aufgegangen in B! Brunsviga Göttingen.

Krüger war der Coulerdiener.

ks 8/2021