Horst Schiller berichtet (1976)


Das Wichtigste aus Horst Schillers Leben wissen wir aus seiner eigenen Feder; es ist zugleich ein Blick in die Geschichte einer schweren Zeit für Deutschland.

Geboren am 10.3.1909 zu Brandenburg an der Havel als Sohn des Kaufmanns Reinhard Schiller und seiner Ehefrau Margarete geb. Kampmann, ließ mich das Schicksal den größten Teil meiner Schuljugend in Frankfurt a.d.O. verbringen, wo ich im Februar 1929 das Abitur am Staatlichen Friedrichsgymnasium bestand. Von der Untersekunda saß ich mit meinem Freund Horst Beckmann Seite an Seite auf der Schulbank und gemeinsam haben wir uns die Universität ausgesucht. Er entschied sich als Chemiker für Göttingen wegen der guten naturwissenschaftlichen Fakultät, und ich ging eben mit. Vorgekeilt für eine Landsmannschaft entschieden wir uns doch für die Burschenschaft auf Zureden Frankfurter Buxen, und als dann die Einladung von Hannovera kam, wurden wir beide zusammen aktiv. Uns gefielen die Menschen, das Haus und der Garten.
So waren wir zwei der 12 Füchse des Jahrgangs SS 1929. Die Semester verliefen ohne besondere Ereignisse, in Erinnerung blieb lediglich als Besonderheit das Kartellfest 1929 in Jena und eine Tour mit dem Fahrrad zusammen mit den Füchsen Dummel (?) und Schröder über Fulda, die Rhön mit Wasserkuppe, Thüringen mit Jena, das Eichsfeld jeweils mit dem Besuch von Alten Herren, Bundes- und Kartellbrüdern.
Die Inaktivierung brachte für mich die Trennung von Beckmann, denn ich wollte noch ein Semester in Heidelberg verbringen, während er zur TH nach Charlottenburg ging. In Heidelberg begann eine aufregende Zeit mit der Einweihung der Neuen Universität ohne Chargieren der Burschenschaften, der Prozesse gegen NS-Studenten und der zeitweisen Schließung von Geldinstituten (schwarzer Freitag), wodurch die Studenten wiederholt ohne Geld dastanden.
Mit dem 6. Semester 1931/32 zog ich nach Königsberg i.Pr., bedingt durch die Tradition einmal, weil mein Vater Memelländer und sein Großvater Forstmeister in Masuren gewesen war. Zum anderen wollten gleichgesinnte Kartellbrüder aus Frankfurt auch dorthin. Verkehrt haben wir bei Germania und Gothia als Mitglieder des Inaktivenstammtisches „?“ wie vorher in Heidelberg bei Frankonia als Mitglieder der „Schwarzen Sau“. – Gemeinsam gingen die Kartellbrüder zum Repetitor und bestanden nacheinander das erste juristische Staatsexamen, jeweils gebührend gefeiert im Blutgericht des alten Ordensschlosses.
Die Königsberger Zeit war außerordentlich bedeutungsvoll und erinnerungsreich wegen der alten preußischen Krönungsstadt mit der engen Verbindung zum Meer und zum Osten mit den Fahrten durch den Korridor und Teilnahme an militärischer Ausbildung in der Reichswehr sowie einer Radrundfahrt über Elbing, Marienberg, Marienwerder und Tannenberg zusammen mit Bbr. Blum.
In dieser Zeit vollzog sich die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus und der spontane Eintritt von Tausenden von Studenten in die SA. Reisen wurden ins Memelland mit Besuch der dortigen VaB trotz litauischer Schwierigkeiten und nach Danzig unternommen. In Königsberg traf ich Buchholz, bald nach seinem Examen kam Blum.
Meine Referendarzeit im Kammergerichtsbezirk Berlin begann am Amtsgericht Seelow, wurde dann in Frankfurt/Oder fortgesetzt und in Berlin abgeschlossen, wo ich vielfach den Grünenstammtisch besuchte. In die Referendarzeit fiel die Beurlaubung für die Promotion an der Uni Erlangen und die freiwillige Ableistung von acht Wochen militärischer Übungen in Frankfurt.
Das Assessorexamen am 22.2.1938 beim Reichsjustizprüfungsamt in Berlin beendet die juristische Ausbildung. Als Assessor und als Offiziersanwärter erfüllte ich die Bedingungen für den Eintritt in die höhere Heeresverwaltungsbeamtenlaufbahn und wurde auf mein Gesuch in Münster i.W. als Assessor eingestellt. Als Referent in der Wehrkreisverwaltung VI blieb ich ein Jahr. – Der Kriegsausbruch verschlug mich zunächst zur Grenzwacht nach Rheine, Düren und Aachen; dann kam ich als Divisionsintendant zur 6. Pz.-Division, mit der ich den Feldzug 1941/42 im Nord- und Mittelabschnitt in Rußland mitmachte. Während einer Auffrischung 1942 in Paris wurde ich zur Heeresgruppe A nach dem Südabschnitt in Rußland versetzt und erlebte Besatzungszeiten im Kaukasus und am Rande der Krim. Hier traf ich Bbr. Merkel, der Kollege von mir war.
Die Versetzung nach Italien erhielt ich in Odessa, wobei ich mehrere Tage lang reiste. Der einzige Heimaturlaub 1943 beinhaltete meine Hochzeit in Swinemünde. In Italien lernte ich Rom und die Abruzzen, den Gardasee, Anzio, Florenz und Bologna kennen. Eine Versetzung von kurzer Dauer wurde bald mit einer neuerlichen Reise nach Norwegen beendet. Es handelt sich um die letzte Kriegszeit, und die Reise, verbunden mit kurzem Heimaturlaub hatte die entsprechenden Schwierigkeiten, konnte ich doch noch meine Eltern aus Frankfurt herausschaffen, wohin die Russen bereits vorgedrungen waren. – In Drontheim als Kriegsintendant erreichte mich die Kapitulation, die aber meine Arbeit nicht beendete, mußte ich doch die Versorgung der Gefangenschiffstransporte nach Deutschland organisieren. Als ehemaliger Angehöriger der Besoldungsgruppe A (?) kam ich in automatischen Arrest in ein Außenlager einer Festung in Oslo, wurde vom Entlassungslager Neustadt i. Holstein nochmals nach Norwegen zurückgeschickt und kam endlich im September 1945 zur Entlassung.
Meine Familie war von Swinemünde in die Hildesheimer Gegend geflohen, wo ich sie auf einem Dorf mit vier Personen in einem Zimmer wiederfand. Zunächst arbeitete ich als Ochsentreiber in der Landwirtschaft, war dann arbeitslos mit zeitweiser Beschäftigung in einer Zuckerfabrik und erhielt durch Vermittlung von Hotopp, dem ich dafür großen Dank schulde, eine Anstellung als Aushilfsangestellter zum Amt für Landesplanung und Statistik in Hannover. 1953 endlich erhielt ich wieder eine Anstellung als höherer Beamter beim Versorgungsamt Soest, wo ich als Referent und stellvertretender Amtsleiter bis zu meiner Pensionierung als Regierungsdirektor mit der Versorgung von Kriegsopfern beschäftigt war. Mit der Erreichung des Pensionsalters von 65 Jahren trat ich am 1.4.1974 in den Ruhestand und wohne seitdem in meinem Haus in Soest. Meine drei Söhne haben in Soest und Höxter die Gymnasien besucht. Der älteste ist ebenfalls juristischer Assessor, der zweite Sozialarbeiter und der dritte geht ins Abitur.

Dieser hier leicht überarbeitete Artikel wurde in der Bundeszeitung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen,
Jahrgang 93 (Neue Folge), im Mai 2003, Nr. 1, (Seiten 13-15), veröffentlicht.



Schiller, Horst, gen. Bübchen (WS 1929)
geb. 10. März 1909 in Brandenburg
gest. 15. Februar 2003 in Soest
Dr. jur. (Der Irrtum des bevollmächtigten Vertreters über das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses, jur. Diss., Erlangen 1936)

Beckmann, Horst
geb. 15. März 1909 in Bromberg (Provinz Posen)
stud. chem. in Göttingen
gest. 1936 wahrscheinlich in Leipzig

Schröder, Walter
geb. 28. November 1909 in Herzhorn (Kreis Steinburg)
Pastor in Niebüll (Kreis Südtondern)
Vorstandsmitglied der Propstei Südtondern
gest. 16. Januar 1966

Blum, Karl-Heinz
geb. 20. August 1910 in Kassel
Dr. jur., Gerichtsreferendar
gefallen 19. Dezember 1944 als Oberleutnant d.R. in Oberitalien

Buchholz, Hans
geb. 6. April 1904 in Stargard (Pommern)
Landgerichtsdirektor, Vizepräsident des Landgerichts Heilbronn
gest. 29. Mai 1982 in Darmstadt

Merkel, Kurt
geb. 9. August 1908 in Köln-Nippes
Dr. jur., Oberregierungsrat bei der Oberfinanzdirektion Kassel
gest. 30. April 1960

Hotopp, Gustav
geb. 31. Dezember 1913 in Lengede (Kreis Peine)
Dr. rer. nat., Diplommathematiker, Leitender Regierungsdirektor beim Niedersächsischen Landesverwaltungsamt in Hannover
gest. 26. Oktober 2004 in Bremen



(ks-04/2024)