Hermann Wohlers

Hermann Wohlers, ein fast vergessener Bundesbruder

(Artikel erschienen in der Bundeszeitung der Burschenschaft Hannovera zu Göttingen,
Jahrgang 107 (Neue Folge), April 2017, Nr. 1, S. 71-73 – hier mit Ergänzungen)

Wer in der 1897 erschienenen Grünengeschichte von Carl Römpler die Mitgliederliste einsieht, findet für das Sommersemester 1869 folgende Eintragung: „H. Wohlers aus Altenbruch, Dr. med., Arzt in Smithfield (Orange Republik).“ Auch das Mitgliederverzeichnis in der Geschichte der Hannovera von Theo Lampmann aus den Jahre 1928 enthält keine wesentlich andere Auskunft: „H. Wohlers aus Altenbruch, Dr. med., Arzt in Bethulie (South-Afrika), †.“ Möglicherweise gibt es noch weitere Daten über unseren Bundesbruder in unserem kaum nutzbaren Archiv, aber der Zugang dazu fehlt leider. Erst eine jüngst im Internet erfolgte Recherche ergab Hinweise auf ihn aus Südafrika. Danach wurde sowohl in Deutschland als auch im südlichen Afrika nach weiteren Daten von unserem Bundesbruder geforscht – mit Erfolg!

In Altenbruch an der Elbe, inzwischen längst nach Cuxhaven eingemeindet, gibt es die Kirchengemeinde Sankt Nicolai. Dort war man so freundlich, aus deren Kirchenbüchern folgende Daten zu übermitteln: Justinus Wilhelm Hermann Wohlers wurde am 18. Oktober 1850 in Altenbruch (Amt Otterndorf/Landdrostei Stade) im Königreich Hannover geboren. Seine Eltern waren der Arzt Dr. med. Wilhelm Hinrich Wohlers und dessen Ehefrau Sarah Margarethe Wilhelmine Wohlers geborene Meyer. Weiter Daten findet man in dem von Wilhelm Ebel 1974 herausgegebenen Werk „Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen 1837-1900“. Danach hat sich Hermann Wohlers am 23. April zum Sommersemester 1869 in Göttingen als Student der Medizin eingeschrieben, wobei er sein Maturitätszeugnis des Gymnasiums Athenaeum in Stade vorlegte und sogleich der Burschenschaft Hannovera beitrat. Mit ihm sind bei Hannovera acht Studenten aktiv geworden, die gemeinsam bewegte Zeiten erlebten. Hannovera gründete gemeinsam mit den Burschenschaften Germania Jena und Frankonia Heidelberg am Sonnabend 29. Mai 1869 in Jena das Grün-weiß-rote Kartell (GWRK) und focht im Juni des folgenden Jahres vereint in Jena eine große, siebengliedrige Pro-Patria-Suite auf Schläger, die als Silesenschlacht in die Geschichte einging.
Wohlers befreundete sich mit den Bundesbrüdern Johannes Lühmann (SS 1867) und Johann Rodenhauser, stud. theol. aus Blumenthal bei Bremen, und zog bereits im Juli 1870, wie fast alle aktiven Bundesbrüder, in den Deutsch-Französischen Krieg 1970/71, in dem Wohlers als Sanitäter arbeitete. Nach Kriegsende immatrikulierte er sich im Sommer in Kiel und zum Wintersemester 1871/72 (3. November) erneut an der Georgia Augusta. Aus der entsprechenden Eintragung wird ersichtlich, dass sein Vater inzwischen verstorben war. Hermann Wohlers war ein göttingenweit geachteter Fechter, studierte erfolgreich, wurde 1874 in Göttingen mit der Dissertation „Über Längsbrüche der Patelle“ zum Dr. med. promoviert und bestand anschließend die ärztliche Prüfung.
Sein Consemester Rodenhauser ist aus dem Kriege nicht zurückgekehrt; er starb am 10. Januar 1871 als Soldat in einem deutschen Kriegslazarett vor Paris. Bundesbrder Lühmann, der auch über Die Organisation der Krankenpflege auf dem Lande geschrieben hat, war zuletzt Superintendent und Kreisschulinspektor in Neuhaus an der Oste.

Danach verliert sich für uns einige Zeit lang Wohlers Lebensweg. Im südlichen Afrika konnten wir seine Spur zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts wieder aufnehmen. Er war in den Oranje-Freistaat ausgewandert und zunächst als Arzt in Smithfield tätig. Am 25. Juli 1883 heiratete er dort die 23-jährige Eulalie Theodora Ida Orpen, deren Vorfahren nach Burke’s Colonial Gentry als Theologen und Ärzte aus Irland nach Südafrika einwanderten. Mit ihr hatte Herrmann Wohlers zwei Töchter: Rose, geb. 27. April 1884, verheiratete Heitmann, und Ida Wilhelmina (geb. 23. März oder 29. September 1887; verstorben 5. März 1888 in Smithfield, O.F.S.). Bereits 1889 starb seine Frau; er zog nach ihrem Tod nach Johannesburg, wurde aber kurze Zeit später Distriktsarzt in Bethulie, einer Ortschaft etwa 180 km südlich von Bloemfontein, der Hauptstadt des Oranje-Freistaates; mitten im heutigen Südafrika.

Von 1889 bis 1902 wurde der Zweite Burenkrieg geführt. Großbritannien wollte eine direkte Landverbindung von seinen Kolonien Capland bzw. Natal zu seiner Kolonie Rhodesien erreichen, wodurch der alte Traum von Cecil Rhodes und vieler britischer Kolonialisten ein gutes Stück weiter verwirklicht werden konnte, ein Kolonialreich „Cape to Cairo“ zu schaffen. Da waren die beiden Burenrepubliken im Wege, aber man hatte bald einen Grund gefunden, um den Krieg zu beginnen. Anfangs war das Kriegsglück auf der Seite der Buren, denn sie standen unter guter militärischer Führung und ihre Soldaten kamen in dem umkämpften Gelände besser zu Recht als die Engländer. Nachdem Großbritannien große Truppenkontingente aus der Heimat, aus Kanada, Australien und Neuseeland sowie Mengen an Waffen und Munition herangeführt und mit Lord Kitchener einen befähigten Oberbefehlshaber eingesetzt hatte, waren die Buren nicht mehr in der Lage, zu einer offenen Feldschlacht gegen die zahlen- und ausrüstungsmäßig weit überlegenen britischen Truppen anzutreten. Neues Kriegsgerät war für sie kaum zu beschaffen, denn das musste über den Hafen von Lourenço Marques, der Hauptstadt der portugiesischen Kolonie Moçambique herbeigeschafft werden. Großbritannien übte starken Druck auf Portugal aus, solche Waffen- und Munitionslieferungen zu unterbinden. Außerdem kam es nicht zu der von den Burenstaaten erwarteten politischen Unterstützung der europäischen Mächte und der USA, was wohl in erster Linie daran lag, dass in Transvaal und Oranje-Freistaat die Sklaverei noch nicht abgeschafft war.

Die Buren begannen ab dem Jahre 1900 recht erfolgreich eine Art Guerillakrieg. Nachdem britische Truppen in Regionen der Burenrepubliken eingedrungen waren, fanden sie viele Farmen, auf denen nur noch Frauen, zahlreiche Kinder und nicht kriegsverwendungsfähige Greise anzutreffen waren. Solche Farmen wurden angezündet und die Personen in so genannten concentration camps inhaftiert. Diese befanden sich zunächst auf dem Gebiet der britischen Kolonien Capland und Natal, dann auch auf den Inseln Ceylon, Sankt Helena und Bermuda sowie sogar in Kanada. Später wurden solche Lager in eroberten Gebieten der Burenrepubliken errichtet. Das Ziel dieser Maßnahmen, nämlich die Ernährungslage der burischen Truppen erheblich zu schwächen sowie den Kampfeswillen ihrer Soldaten schnell zu brechen, wurde nicht erreicht.

Eines der größten, sicherlich aber das schlimmste der Lager befand sich von April 1901 bis zum Friedensschluss im Mai 1902 in Bethulie, das selbst bei den Briten wegen der schlechten Organisation und unmenschlichen Verhältnisse als „the hell camp“ verschrien war. Dort starben in nur einem Jahr knapp 2000 von etwa 5000 Gefangenen, meist Frauen und Kinder. Seuchen, Hunger und extreme Temperaturen führten zeitweise zu 30 Toten am Tag; „there isn’t a farm in the area that was not affected by the war”; verbrannte Erde.

Hermann Wohlers war Distriktarzt in Bethulie, vergleichbar einem Amtsarzt. Praktischer Arzt vor Ort in Bethulie war zu dieser Zeit Dr. Werdmüller, der aber zur Sanitätstruppe eingezogen wurde. Als das Lager in Bethulie errichtet wurde, übertrug man Wohlers, der offenbar kein Kombattant war, die Verantwortung für die ärztliche Versorgung der Inhaftierten. Viele Monate lang war er der einzige Arzt in Bethulie, der für das Lager, das von anfangs 180 auf fast 5000 Personen anwuchs, und darüber hinaus für etwa 1500 britische Soldaten sowie die 1800 Einwohner der Stadt zuständig war.

https://daggacouple.co.za/wp-content/uploads/2019/07/Medical-Pharmacy-Act-1891.pdf

In dieser Situation, im schrecklichsten aller Lager im Land, hat Bundesbruder Wohlers als Arzt sein Bestes gegeben. Nachdem die grausamen Verhältnisse in London die Öffentlichkeit aufschreckte, wurde vom Kriegsminister ein Komitee eingesetzt und mit einem Report über die Lager in Südafrika beauftragt, das 1902 dem Parlament berichtete:

„The patients look cheerful and comfortable, a large proportion were doing well. The staff consists of dr Wohlers (resident in Bethulie), dr MacKenzie, five weeks in camp, and dr Madden, three days in camp. There are two nurses, miss de la Rouvier and miss Roos, (both refugees) and seven local assistants…“

[„Die Patienten wirken fröhlich und auskömmlich, einem großen Teil ging es gut. Das Personal besteht aus Dr. Wohlers (Einwohner von Bethulie), Dr. MacKenzie, seit fünf Wochen im Lager, und Dr. Madden, seit drei Tagen im Lager. Es gibt zwei Krankenschwestern, Fräulein de la Rouvier und Fräulein Roos, (beide Flüchtlinge) und sieben örtliche Hilfskräfte…“]

Der Report war einerseits die Momentaufnahme eines angekündigten Kontrollbesuches und andererseits geschönt. Zum Zeitpunkt des Berichts über das Lager Bethulie waren dort bereits mehr als 1200 Insassen gestorben.

Der Bericht fährt fort:

„The commission wish to pay a tribute to the energy and skill of Dr. Wohlers.”

[„Die Kommission zollt der Einsatzbereitschaft und ärztlichen Kunst des Dr. Wohlers ausdrücklich Achtung.“]

Da die Zahl der Pflegekräfte zu gering war und es zu wenig Medikamente gab, konnte Wohlers vielen Kranken nicht helfen, obwohl er sich bis zur völligen Erschöpfung bemühte. Seine vom hohen ärztlichen Ethos geprägte Einstellung verdient auch heute noch große Hochachtung.

Die einheimischen Krankenschwestern und die Gefangenen (nicht Flüchtlinge, wie die Engländer behaupteten) hatten großen Respekt und Anerkennung gegenüber Dr. Wohlers und waren traurig, als er im November 1901 ging. Nachdem dort seine Tätigkeit endete, war er nur noch in der Stadt und im Bezirk tätig.

Ende 1901, Anfang 1902 sahen die Buren ein, dass der Krieg nicht zu gewinnen war und schlossen Frieden mit Großbritannien, was den Eintritt der beiden Buren-Republiken in die britische Kolonie Südafrika zur Folge hatte.

Bundesbruder Wohlers war noch bis 1910 als Bezirksarzt tätig.
Er verließ Bethulie um das Jahr 1916 mit zunächst unbekanntem Ziel.
In der Ausgabe vom 10. April 1937 meldete dann das S.A. MEDICAL JOURNAL auf Seite 216:
The third on the list is Dr. Wilhelm Hermann Wohlers of East London, who took his M.D. (Univ. Gottingen) in 1874 and his Staats Examen in the same year, but only registered on the old Cape Register in 1882. He, too, is still active, though no longer professionally so.
Wann und wo Bundesbruder Wohlers gestorben ist, konnten wir noch nicht feststellen.

Kai Schröder (WS 1975/76)
Henning Tegtmeyer (WS 1961/62)

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(ks-02/2023)