Rechtsprechung

Rechtsprechung zu Mensuren

(Überarbeitete Fassung des Artikels aus der Bundes-Zeitung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen, Jahrgang 100 (Neue Folge), Oktober 2010, Nr. 2, S. 19-28)

Die rechtliche Einordnung von Duellen und Bestimmungsmensuren sowie die disziplinarrechtliche Bewertung von Tätern und Teilnehmern haben im Deutschen Reich und ebenso in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland für viel Diskussionsstoff gesorgt. Göttinger Studenten, aber auch die Universität Göttingen spielten dabei eine außergewöhnliche Rolle.

Weitgehend fußend auf dem preußischen Strafgesetzbuch wurde am 31. Mai 1870 (BGBI. des Norddeutschen Bundes 1870, S. 195) das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund verkündet, das am 1. Januar 1871 in Kraft trat. Formell galt dieses Gesetzeswerk genau ein Jahr, denn durch ein Gesetz vom 15. Mai 1871 (RGBI. 1871, S. 127), welches nur einen einzigen Paragraphen hatte, wurde bestimmt, dass das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund ab 1. Januar 1872 das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich war.

Der Fünfzehnte Abschnitt unter der Überschrift „Zweikampf“ enthielt zehn Paragraphen, die sich mit der Strafbarkeit des Zweikampfes befassten. Als Strafe war Festungshaft vorgesehen, die später die Bezeichnung „Einschließung“ erhielt. Festungshaft war längst nicht so entehrend wie Gefängnis oder gar Zuchthaus. Nur dann, wenn eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfes bewirkt worden war, erfolgte die Bestrafung nach den allgemeinen Strafbestimmungen.

Bereits die Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen sowie die Annahme einer solchen Herausforderung wurden gemäß § 201 StGB mit Einschließung bis zu sechs Monaten bestraft – dass dies nach § 204 StGB nicht galt, wenn der Zweikampf nicht stattfand, wird nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Wichtig ist an der zunächst zitierten Norm hingegen, dass diese die einzige Bestimmung im Fünfzehnten Abschnitt ist, in der die Formulierung „mit tödlichen Waffen“ verwandt wird.

Novellierungen erfuhren die strafrechtlichen Vorschriften über den Zweikampf einmal in der Kaiserzeit (1876 wurde der Strafrahmen für den Zweikampf ohne Sekundanten in § 208 StGB erhöht) und einmal in der Zeit der Weimarer Republik (1926 wurde ein neuer § 210 a StGB eingefügt, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auf Verlust eines öffentlichen Amtes bzw. auf Entlassung aus dem Militärdienst erkannt werden konnte).

Soweit ersichtlich gibt es zu diesem Komplex nur zwei bedeutende Entscheidungen des Reichsgerichts in dem zuvor genannten Zeitraum. 1883 entschieden die Vereinigten Strafsenate (RGSt 8, S. 87) über die Revision der Staatsanwaltschaft Fürth gegen ein Urteil des Landgerichts Fürth. Zwei Erlanger Studenten hatten eine so genannte Konvenienzpartie gefochten mit gewöhnlichen geschliffenen Schlägern, wobei aus dem Urteil nicht ersichtlich wird, ob es sich um eine Bestimmungsmensur oder um eine PP handelte. Die Paukanten benutzten die übliche Schutzbekleidung; abgesehen von der Brille waren die Köpfe unbedeckt. Offensichtlich wurde die Partie ausgepaukt. Nur einer der Paukanten trug eine leichte Verletzung an der Wange davon.

Das Landgericht Fürth sprach den verletzten Studenten frei, weil kein Zweikampf mit tödlichen Waffen vorgelegen habe. Das wurde aus der Art der Schläger und aus der verwendeten Schutzkleidung geschlossen. Der andere Student wurde wegen gefährlicher Körperverletzung unter mildernden Umständen zu 40 Mark Geldstrafe ersatzweise acht Tagen Gefängnis verurteilt.

Das Reichsgericht gab der Revision der Staatsanwaltschaft Fürth statt und meinte, aus der Historie der Bestrafung des Zweikampfes gehe eindeutig hervor, dass der jeweilige Gesetzgeber eine Einschränkung der Zweikämpfe mit tödlichen Waffen angestrebt habe. Deshalb komme es bei der Beurteilung der Waffen, die beim Zweikampf benutzt werden, nur darauf an, ob mit einer verwendeten Waffe der Tod eines Menschen herbeigeführt werden kann. Die Gefährlichkeit der Waffe in abstracto sei demnach entscheidend – und unzweifelhaft könnten mit einem scharf geschliffenen Mensurschläger dem Gegner tödliche Verletzungen beigebracht werden. Kommentmäßige Schutzvorkehrungen aller Art wie Paukbrille, Halsbinde usw. müssten insoweit unbeachtet bleiben. Auch die Verurteilung des Paukanten wegen Körperverletzung, der seinen Gegner einen Schmiss beigebracht hatte, lehnte das Reichsgericht entschieden ab, denn anderenfalls müssten Sekundanten, Unparteiische, Ärzte und weitere Personen ggf. als Teilnehmer strafrechtlich belangt werden, obwohl sie nach den Bestimmungen über den Zweikampf von der Strafverfolgung freigestellt waren.

Nochmals 1926 gab es eine Entscheidung der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts (RGSt 60, S. 257) zu der Rechtsproblematik. Diesmal hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen ein freisprechendes Urteil des Schöffengerichts Karlsruhe Sprungrevision eingelegt, nachdem das erstinstanzliche Gericht erkannt hatte, eine studentische Schlägerpartie – unklar bleibt dabei ebenfalls, ob es sich um eine normale Bestimmungsmensur oder um eine PP handelte – sei kein Zweikampf mit tödlichen Warten im Sinne der §§ 201 ff. StGB. Das Reichsgericht hielt an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, obwohl eingestanden wurde, dass daran Kritik im juristischen Schrifttum erhoben worden war.

In der Kaiserzeit und erst recht in der Zeit der Weimarer Republik gab es in der allgemeinen politischen Diskussion immer wieder Stimmen, die die Aufhebung der privilegierenden strafrechtlichen Vorschriften über den Zweikampf forderten, denn wer seinen Gegner im Zweikampf töte, hatte – wenn er die Zweikampfregelungen beachtete – höchstens mit zwei Jahren Festungshaft (bzw. Einschließung) zu rechnen. Hingegen war die Strafandrohung z. B. für Totschlag bedeutend höher. Im Übrigen konnten die Gegner der Zweikampfbestimmungen insbesondere darauf verweisen, dass trotz der eindeutigen Entscheidungen des Reichsgerichtes die tatsächliche Strafverfolgung ausgesprochen lasch war. Das wird daran gelegen haben, dass viele Staatsanwälte sowie Polizeipräsidenten und höhere Polizeioffiziere ebenso wie auch Richter Alte Herren schlagender Studentenverbindungen waren. Etwas Ähnliches galt für die Mitglieder des Lehrkörpers der Universitäten und Hochschulen. Diese hatten allesamt kein großes Interesse daran, sich eingestehen zu müssen, dass sie als Studenten mehrfach Straftatbestände erfüllt hatten.

Natürlich gerieten die Strafverfolgungsbehörden sowie die Hochschulen gelegentlich unter Druck, etwas gegen das studentische Fechten zu tun. Aber entsprechende Aktivitäten erfolgten nur halbherzig. Außerdem entwickelten schlagende Verbindungen Abwehrmaßnahmen. Wenn z. B. im Lokal „Knochenmühle“ bei Göttingen Säbelpartien anstanden, stellten die Korporationen Mitglieder ohne Couleur als Wachen aus, die Alarm auslösten beim Herannahen der Polizei oder der Universitätsbediensteten. Dann blieb meistens noch genug Zeit, das Pauklokal im Handumdrehen in einen fröhlichen Kneipsaal umzuwandeln!

Oftmals wurde nach einem Duell erst dann ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, wenn einer der Duellanten getötet oder sehr schwer verletzt worden war. So erging es beispielsweise unserem Bundesbruder Andreas Weber (1847-1905). Als Medizinstudent und Angehöriger der Burschenschaft Frankonia Bonn wurde er 1867 von der Universität Bonn zwangsexmatrikuliert, nachdem er durch ein Kriminalgericht wegen „Zweikampfes und Tötung“ zur Einschließung verurteilt worden war. Zumindest ein Jahr saß er auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz ab, ehe er in Marburg und Göttingen das Studium der Philologie begann und später Redakteur an der „Vossischen Zeitung“ in Berlin war.
Weitere Ereignisse von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ereigneten sich in Göttingen. Am 28. Januar 1933 fand ein ordentlicher Pauktag des Göttinger DC statt. Ein Göttinger Alemanne focht seine zweite Burschenpartie gegen einen Göttinger Holzminden. Es handelte sich um eine Bestimmungsmensur. Dabei verfingen sich die Paukanten: der Holzminde kam ins Straucheln. Sein Schläger geriet unglücklicherweise unter das Nasenblech des Alemannen und drang von da aus in das Gehirn ein. Vier Stunden später verstarb der Alemanne an seinen schweren Verletzungen in der Universitätsklinik Göttingen. Es war der einzige tödliche Unfall bei einer Bestimmungsmensur in Göttingen im zwanzigsten Jahrhundert; die Bestürzung war groß. Der Tote wurde auf dem Alemannenhaus aufgebahrt. Die Chargierten des Göttinger Waffenringes, Seine Magnifizenz und viele Professoren der Georgia Augusta, aber auch Göttinger Bürger erwiesen ihm die letzte Ehre. Auf der Fahrt zur Beerdigung in Ostfriesland am 30. Januar 1933 begleiteten ihn seine Bundesbrüder und die Chargierten des Göttinger DC.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen klagte den Holzminden alsbald wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang infolge verbotenen Zweikampfes an. Das Schöffengericht Göttingen erkannte jedoch am 3. März 1933 auf Freispruch. Nach Auffassung des Gerichtes war die Bestimmungsmensur zwar ein Zweikampf, aber er erfolgte nicht mit tödlichen Waffen. Obwohl die verwendeten Schläger scharf geschliffen seien, eigneten sie sich bei Beachtung der Kampfregeln und Benutzung der üblichen Schutzkleidung generell nicht dazu, dem Kontrahenten tödliche Verletzungen beizubringen. Dass unter besonderen Umständen ganz selten einmal ein Unglücksfall eintrete, rechtfertige keine andere Betrachtungsweise. Bei bestimmten Sportarten – so das Schöffengericht Göttingen in der Urteilsbegründung –  gebe es mehr Todesfälle als bei der Ausübung der Bestimmungsmensur.

Das Urteil wurde rechtskräftig, allerdings ist die Reaktion der Staatsanwaltschaft Göttingen nicht bekannt. Angesichts der Tatsache, dass es bei dieser Mensur nicht nur zur Körperverletzung eines Paukanten, sondern zu dessen Tötung gekommen war, darf man wohl annehmen, dass die Staatsanwaltschaft Göttingen im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts Rechtsmittel eingelegt und nicht die Begründung des Schöffengerichts Göttingen anerkannt hat. Inzwischen waren die Nationalsozialisten an der Macht – und am 24. März 1933 wurde das Ermächtigungsgesetz beschlossen. Von nun an erließ die Reichsregierung die Reichsgesetze, und das ging Schlag auf Schlag. So erging das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 (RGBI. 1933, S. 295). Der erst 1926 ins StGB eingeführte § 210 a StGB wurde durch folgende Vorschrift ersetzt:
„Der Zweikampf mit Schlägern unter Vorkehrungen, die bestimmt und geeignet sind, gegen Lebensgefahr zu schützen, sowie die Herausforderung zu einem Zweikampf und deren Annahme sind straflos.“

Selbstverständlich versuchten die Nazis, mit dieser Vorschrift bei den Waffenstudenten Sympathie zu erringen. Es lag nunmehr eine klare Regelung vor, denn abgestellt wurde auf die verwendeten Waffen und die Schutzkleidung. Belanglos war also, ob eine Bestimmungsmensur, eine PP-Suite oder eine so genannte Freundschaftspartie geschlagen wurde. Letztgenannte fand gelegentlich statt, wenn zwei befreundete Studenten, ohne dass es zwischen ihnen zu Streitigkeiten gekommen war, einmal feststellen wollten, wer der bessere Fechter sei. Abzustellen war nach der neuen Rechtslage allein darauf, dass als Mensurwaffen Schläger benutzt wurden. Daraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass damals nach wie vor ein Zweikampf mit Säbeln gemäß den §§ 210 ff. StGB strafbar war.

Ab 1935 kam es zum Verbot der Austragung von Bestimmungsmensuren, allerdings war das von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich. Bei einzelnen Kameradschaften, die sich mit ehemaligen Altherrenschaften waffenstudentischer Verbindungen assoziiert hatten, fochten einzelne Studenten doch wieder Bestimmungsmensuren unter mehr oder weniger großer Geheimhaltung. Das zog sich bis in die ersten Kriegsjahre hin.

Das Gesetz Nr. 11 des Kontrollrates vom 30. Januar 1946 hob den 1933 erlassenen § 210 a StGB auf. Die Alliierten wollten nationalsozialistisches Recht tilgen, aber gerade diese Rechtsänderung zeigt, dass man dabei schematisch vorging. Sie war nicht durchdacht und nur halbherzig, denn der vordem, nämlich seit 1926 geltende § 210 a StGB wurde nicht erneut in Kraft gesetzt, obwohl gerade hierdurch in bestimmten Fällen gegenüber Duellanten, Kartellträgern und gegebenenfalls auch anderen Personen auf Entfernung aus einem öffentlichen Dienstverhältnis erkannt werden konnte.

Schon bald nach Kriegsende gab es studentische Vereinigungen, deren Ziele und Strukturen alles andere als einheitlich waren und sich zudem im Laufe der Zeit oftmals änderten. Einige der Mitglieder hatten als ehemalige Angehörige von Kameradschaften Kontakt zu früheren Altherrenschaften, andere wurden von Alten Herren angesprochen. Allerdings hatten die Alliierten für ihre Zonen unterschiedliche restriktive Regelungen für die Neugründung bzw. für das Weiterbestehen studentischer Verbindungen erlassen. Ab 1947 erhielten konfessionelle Verbindungen die Erlaubnis, sich zu rekonstruieren. Für schlagende Verbindungen war das erst nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland möglich. Dennoch kam schon 1948 bei einzelnen Vereinigungen bzw. einigen ihrer Mitglieder der Gedanke auf, wieder Farben zu tragen und Bestimmungsmensuren zu fechten.

Es gab nicht nur lebhafte Debatten in den Bünden, auch in der öffentlichen Diskussion wurde heftig gestritten. Beispielsweise wandte sich die Westdeutsche Rektorenkonferenz auf ihrer Sitzung 1949 in Tübingen einstimmig gegen die in „gewissen Kreisen von Studenten und Altakademikern auftretenden Tendenzen zur Wiederherstellung alter, überlebter Gemeinschaftsformen“. Dieses Gremium bestätigte in den beiden folgenden Jahren seine Auffassung, allerdings war die Einstimmigkeit entfallen (vgl. dazu und zu weiteren Geschehnissen auch außerhalb von Göttingen: Horst Bernhardi, FRISIA GOTTINGENSIS 1931 – 1956, Heide in Holstein 1956).

Der Senat der Georgia Augusta gab unter dem 18. Februar 1950 eine Verlautbarung bekannt, die die Überschrift „Ein Wort an die Studenten“ trug: „Wir begrüßen es, wenn sich Studenten freiwillig zu Vereinigungen von vielerlei Art zusammenschließen. Jede solche Gemeinschaft dient der menschlichen Bildung, wenn sie von einem geistigen Prinzip und nicht von gesellschaftlichen Rücksichtigen getragen ist. Die Universität wird das gesunde studentische Gemeinschaftsleben gegen Missdeutungen schützen. Sie lebt selbst aus alter Tradition und achtet die Tradition studentischer Vereinigungen. Aber sie kann es nicht gutheißen, wenn unserer Zeit fremd gewordene Formen der Geselligkeit künstlich wiederbelebt werden, wenn Vereinigungen ihre Mitglieder zur Unterwerfung unter einen Gruppengeist zwingen, statt sie zu geistiger Freiheit zu führen, wenn sie durch die Auswahl ihrer Mitglieder und durch die Art ihres Auftretens, wie etwa durch öffentliches Farbentragen, einer sozialen Absonderung Vorschub leisten, oder wenn sie sich wieder den standesgebundenen, überspannten und veräußerlichten Ehrbegriff vergangener Zeiten zu eigen machen. Unserer in bitteren Erfahrungen geläuterten Einsicht muss der frühere studentische Waffengebrauch heute als grober Missbrauch gelten. Wer noch immer für Ehrenhändel Satisfaktion im Zweikampf sucht oder zur vermeintlichen Bewährung seines Mutes mit der blanken Waffe ficht, verwirkt darum den Schutz der Universität und das akademische Bürgerrecht.“

Ende 1950 und in der Zeit danach schlugen einige Göttinger Studenten Bestimmungsmensuren. Das erfolgte heimlich; teilweise fand der Pauktag in der weiteren Umgebung statt, einmal sogar in einem Dorfgasthof im Solling. Natürlich blieb das alles nicht geheim, obwohl Einzelheiten nicht bekannt wurden. Die Universitätsbehörden erfuhren davon und drängten die Polizei in Göttingen zum Einschreiten und zum Unterbinden des Fechtens. Die jedoch erklärte, sie habe keine Ermittlungsansätze. Hiermit gab sich der Senat der Universität Göttingen nicht zufrieden und wandte sich an das Niedersächsische Kultusministerium. Dieses bat das Innenministerium, dafür zu sorgen, dass die Angelegenheit polizeilich aufgeklärt werde. Der Niedersächsische Innenminister erteilte nunmehr der Polizei in Hildesheim die Weisung, die notwendigen Feststellungen zu treffen. Am 20. Juli 1951 sprach der polizeiliche Einsatzleiter aus Hildesheim beim Rektor der Georgia Augusta vor und wurde von diesem noch auf weitere verdächtige Umstände hingewiesen. Vier Tage später war es dann so weit: Bei einigen Corps, Landsmannschaften, Turnerschaften und der Burschenschaft Frisia wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt, allerdings war die Ausbeute mehr als mäßig. Der Couleurdiener der Frisen wurde zeugenschaftlich vernommen, konnte aber ehrlichen Herzens sagen, dass er nie eine Mensur mit scharfen Waffen erlebt habe. Einige der Studenten, von denen die Polizei annahm, dass sie Schmisse trugen, wurden in die Gerichtsmedizin verbracht, aber die dort tätigen Ärzte konnten nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, welche Ursachen die entstandenen Verletzungen hatten.

Die Polizei ging gegen die Korporationen teilweise recht rigoros vor. Außerdem wiesen die Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Göttingen formelle Mängel auf, was etliche Jurastudenten sofort erkannten und gegen die Maßnahmen protestierten. Auch die Presse nahm sich tagelang der Angelegenheit an und stellte sich ganz überwiegend gegen die Polizei. Die Universität zeigte ein sonderbares Verhalten. In einer vom Rektor unterzeichneten Erklärung hieß es, die Universität sei durch die Form des Einschreitens der Polizei sehr beunruhigt, zumal ein Einvernehmen mit den akademischen Behörden vorab nicht hergestellt worden sei. Insoweit galt wohl für Seine Magnifizenz, Prof. Dr. phil. et Lic. theol. Wolfgang Trillhaas, Lehrstuhlinhaber für systematische Theologie, die Methode „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Ein Sprecher des Niedersächsischen Innenministeriums trug mit seiner Bemerkung: „Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne“ nicht gerade zur Beruhigung der Gemüter bei.

Die polizeiliche Aktion war ein Schlag ins Wasser. Der Einsatzleiter aus Hildesheim bemerkte in seinem Abschlussbericht, ein großer Teil der Göttinger Einwohnerschaft bekenne sich zu den Traditionsgepflogenheiten der Korporationsstudenten und habe sich bei Befragungen und Vernehmungen durch zurückhaltende Aussagen vor die betroffenen Korporationen und die Studenten gestellt.

Als sich gegen Abend herausstellte, dass die Polizei keine Beweismittel gefunden hatte, trafen sich die Studenten im Ratskeller. Irgendein Gelegenheitsdichter hatte sogleich eine neue Strophe zum Bullerjahnlied gereimt, die sich großer Beliebtheit erfreute: „Ist Razzia, ist Razzia, ist Razzia in der Stadt, ja ist denn keiner da, ist keiner da, der einen Schläger hat.“

Allerdings war damit die Angelegenheit noch nicht beendet. Mehrere Studenten waren wegen verbotenen Zweikampfes bei der Polizei angezeigt worden; gegen diese wurde ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. In der Frisengeschichte von Bernhardi (vgl. S. 147. Anm. 2) las ich, dass davon Angehörige der Burschenschaften Frisia und Hannovera sowie einiger Corps betroffen waren. Diese Aussage erregte mein Erstaunen, denn in der erst im WS 1950/51 wiedererstandenen Burschenschaft Hannovera hatte nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung kein Bundesbruder eine Mensur geschlagen. Also fragte ich Bundesbruder Harald Tetzlaff danach. Er konnte mir Auskunft geben, und zwar sehr genau, denn er war der Betroffene aus den Reihen unseres Bundes!

Wer ihn angezeigt hatte und wann das geschah, das hat Harald Tetzlaff nie erfahren, und das lässt sich heute nicht mehr verifizieren. Natürlich war die in der Anzeige behauptete Begehung eines Straftatbestandes, nämlich des verbotenen Zweikampfes, falsch, aber das musste erst einmal festgestellt werden. Wie der Anzeigenerstatter darauf kam, ihn zu beschuldigen, kann man nur mutmaßen. Vielleicht lag es daran, dass Bundesbruder Tetzlaff einige Zeit vor der Wiedereröffnung der Burschenschaft Hannovera Keilgast beim Corps Hannovera gewesen war und einige der Roten Hannoveraner Mensuren geschlagen hatten, so dass der Denunziant annahm, auch Harald Tetzlaff habe eine Partie gefochten. Möglicherweise war er dem Anzeigenerstatter dadurch bekannt, dass er als Sprecher der Burschenschaft Hannovera an Sitzungen des Interkorporativen Konvents teilnahm, auf denen gelegentlich über die Bestimmungsmensur diskutiert wurde.

Harald Tetzlaff jedenfalls erhielt unter dem 3. Oktober 1951 (8a Ars 1628/51) eine Vorladung des Amtsgerichts Göttingen in der Barfüßer Straße 1. „In der Strafsache gegen Sie wegen Zweikampfes sollen Sie vernommen werden.“, hieß es lapidar. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass zur damaligen Zeit strafprozessuale Ermittlungen noch durch einen Ermittlungsrichter vorgenommen wurden.

Guter Rat war im vorliegenden Fall gar nicht mal so teuer. Sämtliche Korporationsstudenten, die eine entsprechende Vorladung bekommen hatten, wandten sich an den in Göttingen angesehenen Rechtsanwalt Günther Gonell, der Alter Herr des Corps Hannovera war. Der riet, dass alle Vorgeladenen die ihnen zur Last gelegte Tat bestreiten sollten – nur einer müsse eine Aussage machen, diese allerdings darauf beschränken, dass er lediglich zugebe, eine Bestimmungsmensur geschlagen zu haben. Den Namen des Gegenpaukanten sollte er aber nicht nennen, da auch der sich strafbar gemacht haben könne. Man wolle auf diese Weise die Rechtssache bis zum Bundesgerichtshof bringen in der Erwartung, dass ein freisprechendes Urteil ergehe. Der Student, der sich bereit erkläre, die Angelegenheit „auszufechten“, dürfe allerdings kein Jurist sein, da die Justizprüfungsämter bei den Oberlandesgerichten weit größere Schwierigkeiten machten als andere Prüfungsämter, wenn sich ein Student zum Examen melde und ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder ein Strafverfahren gegen ihn noch anhängig sei.

Der Senior des Corps Bremensia, stud. med. Wilfried von Studnitz, bestätigte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, drei Bestimmungsmensuren geschlagen zu haben, verweigerte aber die Identität der Gegenpaukanten preiszugeben. Die Staatsanwaltschaft Göttingen klagte ihn vor dem Landgericht Göttingen an, welches am 19. Dezember 1951 auf Freispruch erkannte. Gegen Abend hatte sich, wie mir Bundesbruder Tetzlaff erzählte, die Kunde in Göttingen verbreitet, so dass man sich zu einem spontanen, feucht-fröhlichen Umtrunk im Ratskeller traf.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen legte Sprungrevision ein. Etwa ein Jahr später, am 29. Januar 1953, verwarf der Bundesgerichtshof diese, wodurch die Urteilsgründe des Landgerichts Göttingen bestätigt wurden: Eine Bestimmungsmensur ist kein Zweikampf mit tödlichen Waffen bei Verwendung der üblichen Schutzkleidung. Eine mögliche Körperverletzung entfällt wegen der vorliegenden Einwilligung, und diese wird nicht sittenwidrig erteilt. Zur Vermeidung von Missverständnissen betonte der Bundesgerichtshof ausdrücklich, die vorstehenden Ausführungen bezögen sich nicht auf Mensuren, die der Austragung von Ehrenhändeln dienen.

Bundesbruder Harald Tetzlaff ist zwar nicht mehr im Besitz der Einstellungsverfügung, für ihn ergaben sich aber keine Schwierigkeiten bei der Meldung zur Ersten Juristischen Staatsprüfung.
Nachdem das freisprechende Urteil des Landgerichts Göttingen gegen stud. med. von Studnitz vorlag, über die Revision der Staatsanwaltschaft Göttingen allerdings noch nicht verhandelt worden war, ging die Universität Göttingen disziplinarrechtlich gegen den Studenten vor. Ein so genannter Dreierausschuss unter Vorsitz des Völkerrechtlers Prof Dr. jur. Herbert Kraus verhängte die Strafe der Nichtanrechnung eines Semesters wegen Mensurenschlagens. Die Entscheidung fußte auf dem preußischen „Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse an den preußischen Landesuniversitäten“ vom 29. Mai 1879 und auf den aufgrund dieses Gesetzes ergangenen „Vorschriften für die Studierenden der Landesuniversitäten“ vom 1. Oktober 1914 sowie auf der mit Wirkung für das Reichsgebiet erlassenen „Strafordnung für Studierende, Hörer und studentischer Vereinigungen an deutschen Hochschulen“ vom 1. April 1935. Zur Begründung wurde angeführt, von Studnitz habe gegen die bei seiner Immatrikulation übernommenen und den ihn durch die Universitätsordnung auferlegten Verpflichtungen verstoßen. Er habe dreimal mit scharfen Waffen gefochten und dadurch ein Verhalten an den Tag gelegt, welches geeignet sei, die innere Harmonie und Ordnung der Universität und deren Ansehen in der Öffentlichkeit zu stören.

Unter dem 18. Mai 1952 verhängte der Dreierausschuss ähnliche Strafen gegen sieben Landsmannschafter, von denen bekannt war, dass sie Mensuren geschlagen hatten oder bei Mensuren anwesend gewesen waren. Hier wurde zur Begründung angeführt, das Fechten scharfer Mensuren sei eine ausschließlich studentische Angelegenheit. Deshalb gehöre es zur Disziplinarbefugnis der Universität, über die Zulassung von scharfen Mensuren zu befinden. In Übereinstimmung mit der Tradition sehe die Universität in scharfen Mensuren Handlungen, welche die Sitte und die Ordnung des akademischen Lebens stören oder gefährden.

Die betroffenen Studenten ließen die Angelegenheit nicht auf sich beruhen, sondern beschritten den Verwaltungsrechtsweg. Das Landesverwaltungsgericht Hannover, Kammer Hildesheim, hob am 25. März 1954 die Disziplinarentscheidungen des Dreierausschusses der Universität Göttingen auf (DVBI. 1954, S. 680). Festgestellt wurde insbesondere, dass der Dreierausschuss kein Disziplinargericht sei, also keine Urteile im rechtsförmlichen Sinne erlassen konnte, sondern nur so genannte Verwaltungsakte, die der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegen. Das Gesetz von 1935 wurde für rechtsungültig erklärt. Die beiden anderen Vorschriften von 1879 und 1914 sollten noch gelten, aber das Schlagen von Mensuren werde von ihren Bestimmungen nicht erfasst.

Die Universität Göttingen legte gegen dieses Urteil keine Rechtsmittel ein, vielleicht auch deshalb nicht, weil inzwischen eine neue Entwicklung eingetreten war. Am 1. April 1953 gab es ein Treffen von Theodor Heuss mit autorisierten Vertretern der schlagenden studentischen Verbände (KSCV, WSC, DB, CC). Dem damaligen Bundespräsidenten wurde versichert, alle Verbände würden fortan auf die Austragung von Ehrenhändeln mit der Waffe verzichten.

Zu berichten ist noch, dass die Freie Universität Berlin einem Weinheimer Corpsstudenten (Corps Hannoverania Hannover et Teutonia Berlin) die Immatrikulation verweigerte, weil er erklärte hatte, Mensuren zu schlagen. Auch in diesem Fall gab es einen über mehrere Jahre dauernden Verwaltungsrechtsstreit, bis schließlich das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 24. Oktober 1958 (BVerwGE 7, S. 271) entschied, eine Immatrikulation könne nicht deshalb verweigert werden, weil sich ein Bewerber zum Mensurenschlagen bekenne.

Gemäß Art. 1 Nr. 59 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 wurde der Fünfzehnte Abschnitt des Strafgesetzbuches aufgehoben, d. h. seit dem 1. September 1969, dem Inkrafttreten eines Teils des Gesetzes, enthält das deutsche Strafrecht keine speziellen Bestimmungen mehr über den Zweikampf mit tödlichen Waffen.

Henning Tegtmeyer (WS 1961/62)



(ks 03/2020)