Moritat

erstmals vorgetragen auf dem Ballabend des
125. Stiftungsfestes der Burschenschaft Hannovera 1973

(Redaktionell hinsichtlich der neuen Rechtschreibung geringfügig überarbeitetes Gedicht unseres Bundesbruders Norbert Stroicz, geboren 1943 in Wohlau (Schlesien), aktiv WS 1966/67, Oberstudienrat a. D. in Hannover, in: Bundeszeitung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen, Jahrgang 64 (Neue Folge), Göttingen, Oktober 1973, Nr. 2, S. 10-14)

Moritat vom unaufhaltsamen Aufstieg und schmählichen Niedergang des Studiosus gloriosus in litteris philologiae Gemaniae et Romaniae S., mit Anmerkungen über seinen Aufenthalt in villa universitas Gottingensis und später in oppido magno Saxoniae inferioris im hochwohllöblichen Amte eines „cacators prudens“ inmitten vieler „cacatores prudentes“.

                                    I              

            Nachdem der Schule er entronnen
            und Preußens Gloria begonnen,
            da dachte der Studiosus S.
            Wie wäre es, wie wäre es,

            wenn du, um nun den Geist zu lenken
            und dich in Dinge zu versenken,
            von denen jedermann wohl weiß,
            dass sie – mit Sachverstand und Fleiß,

            verbunden mit ein wenig Glück –
            dich weiterbringen Stück für Stück,
            du fröhlich anfängst zu studieren.
            Und dabei auch noch zu probieren,

            ob nicht die hohen Wissenschaften
            dir, dem Student, dem abgeschlafften,
            vielleicht ein wenig Zeit noch schenken
            um etwas anderes zu denken

            als lediglich an Ernst und Fleiß,
            an Büffeln, Arbeit, Müh‘ und Schweiß.
            Aus diesem Grund, zu diesem Zweck,
            begab er sich an einen Fleck,

            welch selbiger in Stadt und Land
            als „Nansenhaus“ ist wohl bekannt.
            Dort könne man, so hieß es nämlich,
            Studentinnen, die gar nicht dämlich,

            aus aller Herren Länder finden
            und zarte Lieb- und Freundschaft binden.
            So war es auch, – o Schreck, fürwahr! –
            vergangen war noch kaum ein Jahr,

            nein ganz in Ernst, noch kürzere Zeit,
            da hat es unsern S. gereut.
            Um zehn Uhr abends, welch ein Graus,
            da gingen alle Lichter aus,

            man lag in Bett, war völlig nüchtern
            und ganz verschreckt und auch sehr schüchtern.
            Die hohe Herrschaft, – welche Qual! –
            hielt streng auf Sitte und Moral.

            Wer sich daran nicht halten wollte
            und ab und zu verstohlen grollte,
            dem wurde baldigst mitgeteilt,
            das Schicksal habe ihn ereilt.

            Dies sei ja ein besonderes Haus,
            wer hier nicht spure, fliege raus.
            Studiosus S. – vor Schreck verstummt
            und nach und nach auch ganz verdummt –

            war ausgezehrt, mit bleichen Wangen,
            am Grünenhaus vorbeigegangen,
            wo in der schönen Mittagszeit
            man hörte Lachen weit und breit

            und Lärmen „out of rand and band“,
            ein Alter Herr am Tore stand.
            Nicht lang, da hatte man begriffen,
            hier hat das Schicksal eingegriffen;

            man saß, man trank, man unterhielt sich.
            Studiosus S. war bald ganz friedlich.
            Vergessen war das Nansenhaus,
            man leerte manche Flasche aus.

            Und also bald war er entschlossen,
            er würde fröhlich, unverdrosssen,
            dem Nansenhaus den Rücken wenden,
            um möglichst bald das zu beenden,

            was ihm schon lange nicht behagte
            und ihm die Lebenslust versagte.
            Hannovera – so heißt’s Panier!
            Das klang so schön, drum blieb er hier,

            verbrachte fröhlich Jahr um Jahr
            und hatte dann – wie wunderbar –
            an einem schönen Sommermorgen
            die allerletzten Studiensorgen

            mit vieler Mühe überwunden,
            und glücklich – obwohl sehr geschunden –
            saß er beim Bier und seufzte: Ja,
            das war‘n die Staatsexamina!

            Inzwischen nach so vielen Jahren,
            da hatte er sehr viel erfahren,
            was wichtig für das Leben sei.

            So hatte er mit großer Pein
            bemüht sich um den Hainbergschein;
            im Sommer ist er leicht zu kriegen
            trotz vieler Mücken, vieler Fliegen –

            im Eis und Schnee zur Winterzeit,
            da hat es manchen schon gereut.
            Studiosus S. war stets sehr munter,
            so manches Bierlein schluckt‘ er runter.

            Besonders lustig war es freilich,
            und manches Mal fast unverzeihlich, 
            wenn viele Gläser taten klingen,
            und Morpheus hub schon an zu singen.

            Das dröhnte durch das ganze Haus,
            und tief im Keller – welch ein Graus! –
            die Sau an ihrer Kette zerrt,
            hinter der dicksten Tür versperrt.

            Hatte sie sich losgerissen,
            konnte man schon vorher wissen, 
            dass die Bundesbrüder,
            liebe Kerle – brav und bieder –

            meistens ein Geschenk empfingen
            für ihr lautes schönes Singen.
            Hatte es sehr schön geschallt,
            fuhr man darauf in den Wald,

            der da Schwarzwald wird genannt,
            und uns allen wohlbekannt,
            dass der Bund ihn gratis buchte
            und man selbst nur leise fluchte.

            Frisch und fröhlich, frank und frei,
            immer lustig, stets dabei,
            Brotmuseum, Köhlerhütte,
            Ortsschildkneipe, Mutter Jütte,

            Laufen durch den Hainbergwald,
            Juristenschießen, dass es knallt,
            Fuxentaufe, Stiftungsfeste,
            und von allem nur das Beste

            hat Studiosus S. erfahren
            in den langen Studienjahren.

                                 II

            Was einem auf den Nägeln brennt,
            bekanntlich das Establishment!
            Wie aber soll man dem entkommen,
            wenn man – mit Schrecken und beklommen –

            sein Zeugnis hat und recht verdutzt
            noch gar nicht weiß, wie man es nutzt,
            recht ratlos durch die „Weender“ geht
            und hier und da verlegen steht?

            Weil man ja weiß, im Seminar,
            wo man gesessen Jahr um Jahr,
            wo man gestöhnt hat und geschwitzt,
            ein junges Erstsemester sitzt.

            Doch alle diese Gedanken
            machten Studiosus S. nicht wanken.
            Er kam – kaum konnte er sich wehren –
            zu vielen bürgerlichen Ehren.

            Alsdann – wovon der lang geträumt –
            ward ihm ‘ne Wohnung eingeräumt.
            Er lebte friedlich, trank nur mäßig,
            dafür – wie früher – regelmäßig.

            Es ging ihm gut, er wurde fetter,
            nichtsdestoweniger ein netter –
            so glaubte er – Studienreferendar,
            und lehrt nun schon ein ganzes Jahr

            die Jugend Deutschlands vehement
            im Sinne des Establishment.
            „Cacator prudens“ ist sein Rang,
            den er mit vielem Schweiß errang,

            weil er viel weiß und mehr noch kann
            schaut jedermann ihn furchtsam an.
            Studiosus S. – im Herzen ehrlich –
            denkt so bei sich und seufzt beschwerlich:

            „Soll es dies sein, was du geplant?
            Hast du das jemals geahnt?
            War es nicht schöner als Student,
            stets gegen das Establishment?

            Ist es etwa so gekommen,
            wie man’s kaum hat wahrgenommen,
            dass man friedlich wird und faul,
            aufmacht nur sein großes Maul,

            wenn es gilt, etwas zu trinken,
            dem Nachbarn fröhlich zuzuwinken?“
            Studiosus S. – mit Unbehagen –
            hängt mit Wehmut an den Tagen,

            an den Tagen, Wochen, Jahren,
            die ihm vergönnt gewesen waren
            innerhalb von Göttingens Mauern;
            heute denkt er mit Freude und Trauern:

            „Was wäre, wenn nur für ein Jahr,
            alles so wäre, wie‘s damals wahr?“
            Kurzum – der Drang ins bürgerliche Leben
            erwies sich doch als falsch – na eben!

Norbert Stroicz (WS 1966/67)



125. Stiftungsfest der Burschenschaft Hannovera 1973 in Göttingen,
Gruppenphoto vor dem Deutschen Theater.
(Bildrechte bei Burschenschaft Hannovera)


(ks-9/2019)